In Zeiten von raffgierigen Konzernen, treudoofen Kunden und der Jeder-für-sich-Mentalität wird vieles schwieriger, manches aber unterträglich.
Gut, wir haben uns halt für den Weg der Individualisierung entschieden. Wir wollen in möglichst allen Bereichen einzigartig sein, wollen uns profilieren, von der vermeintlich grauen Masse abgrenzen und verurteilen Gemeinsamkeiten im (Mode-)Geschmack als langweilig und spießig. Am besten für alles offen sein und den deutschen Pünktlichkeitsfimmel vorsichtshalber über Bord werfen ("Jau, passt scho´.").
Noch besser: sich multikulturell geben. Man war schon überall und kennt schon so vieles. Außerdem schmeckt dieses langweilige deutsche Essen eh sooo öde. Also her mit dem Bruschetta, den Tomaten mit Mozarella!
Und wenn schon nicht den mediteranen Fraß in sich rein schaufeln, damit einem der Geruch der zugekackten Mittelmeerstrände in die Nase steigt, DANN doch bitte wenigstens den eigenen Kopf durchsetzen und sich und seine Ideale verwirklichen!
Koste es was es wolle. Denn wenn du das nicht machst, verkaufst du deine Seele und bist ein emotionsloser Zombie der grauen, deutschen Gesellschaft.
WENN sich also in einer abgepackten Schale ROSENKOHL 80 (achzig) Gramm zu wenig Inhalt befindet, sollte man auf sein Recht bestehen, 1000 Gramm und nicht 920 Gramm der grünen Bällchen futtern zu dürfen.
Koste es, was es wolle. Denn verarschen lassen wir uns nicht mehr! Wir nicht! Das ist UNSER Geld! Kohl ist unser MENSCHENRECHT, unser Weg zur Selbstfindung und zur Persönlichkeitsentfaltung!
So also passiert in dem Rewe-Markt bei mir hier um die Ecke. Abends. Dann, wenn die meisten Leute einkaufen müssen.
Die Schlangen an den Kassen sind inzwischen beachtlich lang. Immer wenn ich aus der Regalgasse trete, die die Alkoholika beherbergt, und diese Menschentraube um die Kassen sehe, wünsche ich mich an die trostspendene Brust von Merlot und Puschkin zurück.
In der Annahme, dass man ohnehin immer die falsche Kasse erwischt, stelle ich mich an jene, wo die wenigsten Rentner warten. Stumpfsinnig steht man nun in dieser Schlange. Öde Schlager und Aufzugmusik trällert aus unsichtbaren Lautsprechern und Angelina Jolie lächelt mich mit aufgespritzten Lippen aus dem Zeischriftenständer heraus an. In Ermangelung an Unterhaltung höre ich ungewollt den Pennern in der Nachbarschlange zu.
"Öi, Pedda! Hasse noch 32 Cent für mich?"
"Neij, ich hab nischt mehr!"
"Scheiße, äi! Ich hab´ so Hunger auf ei´ Bütterken!"
Sprichts und stellt Freund Strothmann auf das Laufband.
In winzigen Trippelschritten arbeite ich mich näher an den eigenen Schalter und freue mich unterwegs, dass der verdammte Pfandautomat am anderen Ende des Ladens beleidigt anfängt zu piepen. Super Timing. Zumindest diese Schlange konnte umgangen werden.
Dennoch zucke ich innerlich zusammen. Der Typ an der Kasse hat mit dem üblichen kommunikativen "Hallo-Tschüss"-Prozedere gebrochen! Statt dessen fragt er den gelangweilten Kassierer: "Hab´das hier grad mal abgewogen. Da sind 80 Gramm zuwenig drin. Wie kann das sein?", und hält ihm ein Kilo abgepackten Rosenkohl unter die Nase.
Verdammt! Er klingt entschlossen, seinem Ärger über den bösen, kundenverarschenden Kapitlismus hier und jetzt Luft zu machen. Hätte er doch nur sein ausgewähltes Publikum vorher gefragt, ob es wirklich zehn Minuten länger im grell beleuchteten Supermarkt stehen will.
Viele Fragen schwirren in meinem Kopf herum, bis ich dann meine Augen verdrehe und scharf ausatme:
1. Warum kann der Rosenkohl-Fanatiker sich nicht einen Angestellten schnappen, BEVOR er sich in die Schlange stellt.
2. Warum kann er keine andere Packung nehmen?
3. Wie viel sind 80 Gramm in Rosenkohl? Ein Bällchen?
4. Kann er seinen Kreuzzug gegen die Rosenkohlmafia nicht wann anders beginnen? Vielleicht nicht unbedingt zur HAUPTEINKAUFSZEIT?
5. Hat der Typ keinen Rasierapparat?
6. Wie kann man nur Rosenkohl essen wollen?
und: Darf man in Ausnahmesituationen hier wohl rauchen?
"Gentleman" mit seinem einschläfernden Kiffer-Blabla summt aus den Supermarktboxen und Angelina Jolie grinst hämisch, als der Kassierer die Rosenkohl-Beauftragte ausruft.
Der Typ hinter mir murmelt etwas von "Ich stopf dir den Kohl gleich in deine Fresse."
Ich glaube nicht, dass das bis nach vorne durchgedrungen ist. Naja, er hat es wenigstens versucht.
Das Pärchen vor mir fängt an, ihr Abendessen vorzuziehen und futtert fröhlich drauf los, was ihr Einkaufswagen hergibt.
Der bärtige Seegers mit dem Kohl-Problem und der Segelmütze auf dem Kopf wiederholt herausfordernd seine Fragen: "Wie kann das sein?" und "Was machen wir jetzt?"
"An dem Scheiß-Zeug ersticken!", höre ich von weiter hinten.
Das kam meinem gedachten "Krepier dran, du verschissener Dreckssack!" schon sehr nahe. Ich summe "Die Gedanken sind frei" um mich zu beruhigen.
Die kleine, dicke Gemüsetante trampelt gehetzt an mir samt Leidensgenossen vorbei, hin zum Problemkind, dass sein grünes Bällchen nicht kriegt. An der Diskussion ändert das wenig:
"Wie kann das sein?"
Meine ganze Bewunderung gilt einem Mann mit Anzug, der sich kurzerhand den Campingstuhl aus dem Haufen der Sonderangebote schnappt, sich setzt und sich von Angelina die 50 wichtigsten Sextipps verraten lässt. Auf die Idee mit dem Stuhl hätte ich auch kommen können.
Wahrscheinlich habe ich mich zu sehr in die Hoffnung verschossen, dass eine klaffende Erdspalte den Supermarktguerillia verschluckt und in der Hölle ein Berg Blumenkohl auf ihn wartet.
Die beiden vor mir haben ihre Fanta und ihr Mineralwasser aufgetrunken. Er bringt schnell die Pfandflaschen weg und kommt mit Bon und einer vollen Flasche Wasser wieder. -Auch nicht blöd.
Ich stelle den vorhin eingepackten "Spiegel" zurück. Das was ich lesen wollte, habe ich gelesen. Kaufen brauch ich das Ding nun auch nicht mehr. Denn nun heißt es: Aus der aufoktruierten Wartezeit hier soviel Kapital heraus zu schlagen, wie möglich. Einige sparen sich den Kauf von Tageszeitungen, andere bilden sich dank Angie weiter und ganz forsche sammeln ein kleines Vermögen in Form von Pfandbons an.
Endlich geht es weiter. Der Rosenkohl-Mann wurde an die Seite genommen und es wird weiter diskutiert: "Ja, aber was machen wir jetzt? Wie kann das denn bitte sein?" DAS fragen sich hier inzwischen die meisten.
Fast alle Wartenden haben die Tageszeitungen, die sie zu hause lesen wollten, wieder in die Regale gestopft. Hier und da sind leere RitterSport-Verpackungen und ausgeblutete Kinderschokolade zu finden. Der Kassierer guckt nicht schlecht, als ihm 5 Pfandbons überreicht werden. Ein Blick zurück und das Zeitungsregal gleicht einer Altpapiersammlung.
Als ich mit meinem Fahrrad endlich draußen an dem Laden vorbeifahren konnte, sah ich durch die Glasfassade, wie der Segelkappenfuzzie weiter diskutierte. Sein Ziel dürfte er erreicht haben. Zusammen haben wir dem Supermarkt an die 8,50 Euro an Einnahmen durch Zeitschriften, 4,00 Euro an Getränken und Pfand und 5,20 Euro an Schokolade zunichte gemacht. Das macht einen Verlust von stolzen 17,70 Okken. Hurra!
Gut, wir haben uns halt für den Weg der Individualisierung entschieden. Wir wollen in möglichst allen Bereichen einzigartig sein, wollen uns profilieren, von der vermeintlich grauen Masse abgrenzen und verurteilen Gemeinsamkeiten im (Mode-)Geschmack als langweilig und spießig. Am besten für alles offen sein und den deutschen Pünktlichkeitsfimmel vorsichtshalber über Bord werfen ("Jau, passt scho´.").
Noch besser: sich multikulturell geben. Man war schon überall und kennt schon so vieles. Außerdem schmeckt dieses langweilige deutsche Essen eh sooo öde. Also her mit dem Bruschetta, den Tomaten mit Mozarella!
Und wenn schon nicht den mediteranen Fraß in sich rein schaufeln, damit einem der Geruch der zugekackten Mittelmeerstrände in die Nase steigt, DANN doch bitte wenigstens den eigenen Kopf durchsetzen und sich und seine Ideale verwirklichen!
Koste es was es wolle. Denn wenn du das nicht machst, verkaufst du deine Seele und bist ein emotionsloser Zombie der grauen, deutschen Gesellschaft.
WENN sich also in einer abgepackten Schale ROSENKOHL 80 (achzig) Gramm zu wenig Inhalt befindet, sollte man auf sein Recht bestehen, 1000 Gramm und nicht 920 Gramm der grünen Bällchen futtern zu dürfen.
Koste es, was es wolle. Denn verarschen lassen wir uns nicht mehr! Wir nicht! Das ist UNSER Geld! Kohl ist unser MENSCHENRECHT, unser Weg zur Selbstfindung und zur Persönlichkeitsentfaltung!
So also passiert in dem Rewe-Markt bei mir hier um die Ecke. Abends. Dann, wenn die meisten Leute einkaufen müssen.
Die Schlangen an den Kassen sind inzwischen beachtlich lang. Immer wenn ich aus der Regalgasse trete, die die Alkoholika beherbergt, und diese Menschentraube um die Kassen sehe, wünsche ich mich an die trostspendene Brust von Merlot und Puschkin zurück.
In der Annahme, dass man ohnehin immer die falsche Kasse erwischt, stelle ich mich an jene, wo die wenigsten Rentner warten. Stumpfsinnig steht man nun in dieser Schlange. Öde Schlager und Aufzugmusik trällert aus unsichtbaren Lautsprechern und Angelina Jolie lächelt mich mit aufgespritzten Lippen aus dem Zeischriftenständer heraus an. In Ermangelung an Unterhaltung höre ich ungewollt den Pennern in der Nachbarschlange zu.
"Öi, Pedda! Hasse noch 32 Cent für mich?"
"Neij, ich hab nischt mehr!"
"Scheiße, äi! Ich hab´ so Hunger auf ei´ Bütterken!"
Sprichts und stellt Freund Strothmann auf das Laufband.
In winzigen Trippelschritten arbeite ich mich näher an den eigenen Schalter und freue mich unterwegs, dass der verdammte Pfandautomat am anderen Ende des Ladens beleidigt anfängt zu piepen. Super Timing. Zumindest diese Schlange konnte umgangen werden.
Dennoch zucke ich innerlich zusammen. Der Typ an der Kasse hat mit dem üblichen kommunikativen "Hallo-Tschüss"-Prozedere gebrochen! Statt dessen fragt er den gelangweilten Kassierer: "Hab´das hier grad mal abgewogen. Da sind 80 Gramm zuwenig drin. Wie kann das sein?", und hält ihm ein Kilo abgepackten Rosenkohl unter die Nase.
Verdammt! Er klingt entschlossen, seinem Ärger über den bösen, kundenverarschenden Kapitlismus hier und jetzt Luft zu machen. Hätte er doch nur sein ausgewähltes Publikum vorher gefragt, ob es wirklich zehn Minuten länger im grell beleuchteten Supermarkt stehen will.
Viele Fragen schwirren in meinem Kopf herum, bis ich dann meine Augen verdrehe und scharf ausatme:
1. Warum kann der Rosenkohl-Fanatiker sich nicht einen Angestellten schnappen, BEVOR er sich in die Schlange stellt.
2. Warum kann er keine andere Packung nehmen?
3. Wie viel sind 80 Gramm in Rosenkohl? Ein Bällchen?
4. Kann er seinen Kreuzzug gegen die Rosenkohlmafia nicht wann anders beginnen? Vielleicht nicht unbedingt zur HAUPTEINKAUFSZEIT?
5. Hat der Typ keinen Rasierapparat?
6. Wie kann man nur Rosenkohl essen wollen?
und: Darf man in Ausnahmesituationen hier wohl rauchen?
"Gentleman" mit seinem einschläfernden Kiffer-Blabla summt aus den Supermarktboxen und Angelina Jolie grinst hämisch, als der Kassierer die Rosenkohl-Beauftragte ausruft.
Der Typ hinter mir murmelt etwas von "Ich stopf dir den Kohl gleich in deine Fresse."
Ich glaube nicht, dass das bis nach vorne durchgedrungen ist. Naja, er hat es wenigstens versucht.
Das Pärchen vor mir fängt an, ihr Abendessen vorzuziehen und futtert fröhlich drauf los, was ihr Einkaufswagen hergibt.
Der bärtige Seegers mit dem Kohl-Problem und der Segelmütze auf dem Kopf wiederholt herausfordernd seine Fragen: "Wie kann das sein?" und "Was machen wir jetzt?"
"An dem Scheiß-Zeug ersticken!", höre ich von weiter hinten.
Das kam meinem gedachten "Krepier dran, du verschissener Dreckssack!" schon sehr nahe. Ich summe "Die Gedanken sind frei" um mich zu beruhigen.
Die kleine, dicke Gemüsetante trampelt gehetzt an mir samt Leidensgenossen vorbei, hin zum Problemkind, dass sein grünes Bällchen nicht kriegt. An der Diskussion ändert das wenig:
"Wie kann das sein?"
Meine ganze Bewunderung gilt einem Mann mit Anzug, der sich kurzerhand den Campingstuhl aus dem Haufen der Sonderangebote schnappt, sich setzt und sich von Angelina die 50 wichtigsten Sextipps verraten lässt. Auf die Idee mit dem Stuhl hätte ich auch kommen können.
Wahrscheinlich habe ich mich zu sehr in die Hoffnung verschossen, dass eine klaffende Erdspalte den Supermarktguerillia verschluckt und in der Hölle ein Berg Blumenkohl auf ihn wartet.
Die beiden vor mir haben ihre Fanta und ihr Mineralwasser aufgetrunken. Er bringt schnell die Pfandflaschen weg und kommt mit Bon und einer vollen Flasche Wasser wieder. -Auch nicht blöd.
Ich stelle den vorhin eingepackten "Spiegel" zurück. Das was ich lesen wollte, habe ich gelesen. Kaufen brauch ich das Ding nun auch nicht mehr. Denn nun heißt es: Aus der aufoktruierten Wartezeit hier soviel Kapital heraus zu schlagen, wie möglich. Einige sparen sich den Kauf von Tageszeitungen, andere bilden sich dank Angie weiter und ganz forsche sammeln ein kleines Vermögen in Form von Pfandbons an.
Endlich geht es weiter. Der Rosenkohl-Mann wurde an die Seite genommen und es wird weiter diskutiert: "Ja, aber was machen wir jetzt? Wie kann das denn bitte sein?" DAS fragen sich hier inzwischen die meisten.
Fast alle Wartenden haben die Tageszeitungen, die sie zu hause lesen wollten, wieder in die Regale gestopft. Hier und da sind leere RitterSport-Verpackungen und ausgeblutete Kinderschokolade zu finden. Der Kassierer guckt nicht schlecht, als ihm 5 Pfandbons überreicht werden. Ein Blick zurück und das Zeitungsregal gleicht einer Altpapiersammlung.
Als ich mit meinem Fahrrad endlich draußen an dem Laden vorbeifahren konnte, sah ich durch die Glasfassade, wie der Segelkappenfuzzie weiter diskutierte. Sein Ziel dürfte er erreicht haben. Zusammen haben wir dem Supermarkt an die 8,50 Euro an Einnahmen durch Zeitschriften, 4,00 Euro an Getränken und Pfand und 5,20 Euro an Schokolade zunichte gemacht. Das macht einen Verlust von stolzen 17,70 Okken. Hurra!
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